Blog_Byron_Katie_2017_2

Unverschämtheiten und andere Irrtümer – Die gelebte Umkehrung

Am Ende einer Coachingsitzung fragen manche Klienten/innen: „Was mache ich denn nun mit der Erkenntnis?“ Oft sage ich: „Gar nichts.“ Denn in meiner Erfahrung integriert sich eine neue Erkenntnis von allein in mein Leben, wenn es eine wirkliche Erkenntnis war. Wenn ich mit einem/r Klienten/in worke, was bedeutet, dass wir Gedanken auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen, erkennen die Klienten/innen oft, dass das, was anfangs so wahr erscheint, gar nicht so wahr ist, und dass das Gegenteil oft mindestens genauso wahr ist, wenn nicht wahrer. Und gleichzeitig ist es in meiner Erfahrung so hilfreich und heilend, Prozesse nicht nur im Kopf stattfinden zu lassen, sondern das Verstandene oder Erkannte in die Praxis umzusetzen.

Das kann leicht an einem Beispiel verdeutlicht werden. Neulich hatte ich eine heftigere Auseinandersetzung mit der Tochter meines Partners. Wir leben nun seit 14 Monaten zusammen, sie ist 9, ich 40. Beim Spielen mir ihrer Cousine hatte sie sich weh getan und lief auf Strümpfen brüllend aus dem Haus, um ihren Vater zu suchen. Der war gerade mit dem Trecker unterwegs und hörte ihr Kreischen nicht. Ich ging hinterher, rief sie und wollte schauen, was ihr weh tat. Sie war nicht zu beruhigen, kreischte immer nur „Papa, Papa“ und wurde immer wütender. Ich sah, dass ihr Körper unversehrt war und versuchte, ihr zu erklären, dass ihr Vater gerade nicht hier sei. Sie liess sich nicht von mir beruhigen, schmiss sich auf den Boden, rannte weiter auf Strümpfen über den Acker. Langsam wurde ich ärgerlich, ich bat sie mehrmals, mit mir ins Haus zu kommen und sich Schuhe anzuziehen. Sie war immer noch ausser sich. Schliesslich hob ich sie hoch, und sie trampelte und schrie. Ich setzte sie wieder hinunter und ging wütend ins Haus. Sie kam nicht mit, und ich fuhr mit ihrer Cousine davon, da ich einen Termin hatte und ihrer Tante versprochen hatte, ihre Tochter zu ihr bringen. Lange Geschichte… das Ende vom Lied war, dass ich wahnsinnig wütend war und eigentlich gar nicht genau wusste, warum.

Ich traf mich mit einer Freundin in Palma, wir hatten ein schönes Abendessen und irgendwann erreichte mich eine Whatsupnachricht der Tochter meines Partners. Sie schrieb: „Ich verzeihe Dir.“ Und: „Es tut mir leid, ich wollte mich nicht so aufregen.“ Ich antwortete ihr, dass alles in Ordnung sei und bedankte mich für ihre Entschuldigung. Im Auto nahm ich mir dann Zeit genauer hinzuschauen. Welche Gedanken hatten meine starke Wut ausgelöst? Da tauchten sie auf: „Sie ist ein Papakind, sie will nichts von mir wissen, sie ist eine Zicke, das wird nicht gut gehen mit ihr und mir, sie sollte sich von mir trösten lassen, sie macht aus einer Mücke einen Elefanten, sie ist eine Dramaqueen, sie will immer im Mittelpunkt stehen, sie ist unverschämt mir gegenüber….“

Ich untersuchte den Gedanken „Sie ist unverschämt mir gegenüber.“ Das bezog sich auf den ersten Satz ihrer Whatsupnachricht: „Ich verzeihe Dir.“ Ich war immer noch wütend und in meiner Welt sollte sie mich um Verzeihung bitten und in meiner Welt hatte sie mir nichts zu verzeihen. Am Ende des Prozesses stellte ich fest, dass sie viele Gründe hatte, mir zu verzeihen. Ich sah, wie ich sie gegen ihren Willen hochgehoben habe. Ich sah, wie ich unheimlich wütend auf sie wurde und mit dieser Wut nicht in der Lage war, ruhig auf sie einzugehen, ich sah, wie ich ein Kräftemessen mit ihr begann und es um „meine“ Position im Vergleich zu Papa ging… Es gab also wirklich einiges zu verzeihen von ihrer Seite und ich empfand Demut, dass sie mir das mit ihren 9 Jahren beigebracht hat.

Die gelebte Umkehrung ist ein Bestandteil von The Work of Byron Katie. Byron Katie nennt es „The living turnaround“. In meinem Fall wurde aus „Sie ist unverschämt mir gegenüber.“ meine gelebte Umkehrung: „Ich bin unverschämt ihr gegenüber.“ Um von der Erkenntnis nun ins Tun kommen, vereinbarte ich mit mir selbst, jeden Tag drei Beispiele zu finden, woran ich erkennen konnte, dass ich ihr gegenüber unverschämt gewesen bin. Diese drei Beispiele schreibe ich mir auf. So unterstütze ich meinen Verstand dabei, diese neue Sicht noch mehr zu integrieren. Und ich habe festgestellt, dass es besonders nachhaltig ist, diese gelebten Umkehrungen mit anderen Menschen zu teilen, Und dafür möchte ich dir hier die Gelegenheit geben: Wenn du auch gerade eine Umkehrung lebst oder leben möchtest, kannst du hier deine Beispiele teilen. Ich fange mal an:
1. Beispiel: Ich bin unverschämt ihr gegenüber, wenn ich insgeheim erwarte, dass sie mich behandelt wie ihren Papa.
2. Beispiel: Ich bin unverschämt ihr gegenüber, wenn es mir nur darum geht, was „meine“ Position ist und keine Kapazität habe, bei ihr zu sein, da ich innerlich so mit meinem Ego beschäftigt bin.
3. Ich bin unverschämt ihr gegenüber, wenn ich sogar an ihrer Entschuldigung etwas auszusetzen habe, statt einfach dankbar dafür zu sein.

Viel Freude beim Entdecken!

Lieben Gruß

Kerstin

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

0 Kommentare zur Dankbarkeit
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare