Außenseiter, Türschwellen und andere Befürchtungen

Vor kurzem bin ich mit meinem Partner und seinen beiden Kindern zusammengezogen. Nun befinde ich mich mit fast 40 auf einmal in einer so genannten „Patchworkfamilie“, die mich manchmal vor ganz neue Herausforderungen stellt. In dieser Konstellation, in der es drei „Kern-Familienmitglieder“ und mich als Neueinsteigerin gibt, kann ich immer wieder beobachten, wie ich mich manchmal ausgeschlossen fühle, bzw. glaube, ausgeschlossen zu sein. Heute möchte ich darüber schreiben, wie kraftvoll ein einziger Gedanke sein kann, wenn man ihn glaubt.

Ich werde immer eine Außenseiterin sein.
Vor ein paar Wochen war ich auf dem Lehrcoachtreffen des VTW auf Mallorca. Wir hatten die Möglichkeit, miteinander die Work zu machen und einen stressvollen Gedanken auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Mein Einzug war noch ganz frisch und sofort ploppte der Gedanke auf: „Ich werde immer eine Außenseiterin sein.“ Kaum ausgesprochen spürte ich, wie Tränen in meinen Augen aufstiegen und meine Brust ganz eng und schwer wurde. Beweise dafür, wieso das wahr war, dass ich immer eine Außenseiterin sein werde, fand mein Verstand viele. Es tauchten Bilder auf aus unserem ersten gemeinsamen Urlaub mit den Kindern, die Kinder links und rechts an seiner Hand und ich hinter oder vor ihnen her gehend – allein. Weitere Bilder tauchten auf, die Kinder verlassen das Haus, um zur Schule zu gehen und verabschieden sich kaum, geschweige denn dass es eine Umarmung oder einen Kuss gibt… und, und, und…

Wie verhalte ich mich, wenn ich das glaube?
In der Work fragte mich meine Begleiterin, wie ich die Kinder behandele, wenn ich glaube, dass ich immer eine Außenseiterin sein werde. Zuerst folgte ich dem Impuls mich zu verteidigen. Ich war fest davon überzeugt, dass ich schon alles und eher zu viel als zu wenig dafür getan hatte, mich zu integrieren, auf die Kinder zuzugehen etc.. Und da ich ja schon mehr als genug getan hatte, seien nun die Kinder daran, einen Schritt auf mich zu zumachen. Ich sah in der Work, wie ich oft auf der Suche war nach ihrer Annahme, ihrer Bestätigung und ihrer Liebe. Was für eine Erwartung an zwei Kinder, deren Eltern sich getrennt haben, deren Leben sich in den letzten zwei Jahren komplett verändert hat… Mir fiel das Zitat von Byron Katie ein: „Wenn ich ein Gebet hätte, wäre es dieses: Gott bewahre mich vor der Suche nach Liebe, Bestätigung und Anerkennung.“ Ich spürte, wie ich so viel von ihnen wollte und in einen Mangel geriet, immer wenn ich im Opfermodus der Außenseiterin war.

Außenseiter gibt es nicht.
Als wir zu den Umkehrungen kamen: Ich bin keine Außenseiterin, ich werde nicht immer eine Außenseiterin sein, ich bin ein Teil des Ganzen – konnte ich viele Beispiele finden, wie das noch so viel mehr stimmte. Ich sah, wie eines der Kinder mich oft gefragt hat, ob ich bei ihm im Zimmer schlafen möchte, ich sah, wie wir zusammen gespielt, gebastelt, getobt hatten, ich erinnerte mich an Gespräche, in denen die Kinder etwas aus meinem Leben wissen wollten und vor allem berührte mich die Einsicht, dass es einen Außenseiter per se nicht gibt – ich also nur in einem mentalen Konstrukt gefangen war – und sich auf einmal das Gefühl ausbreitete, dass ich immer ein Teil des Ganzen bin und auf jeden Fall immer ein Teil von mir selbst.

Plötzlich war alles anders.
Als ich abends nach Hause kam, blieb ich wie so oft an der Türschwelle des Sohnes meines Partners stehen. Er war schon im Bett, noch wach, und auf einmal spürte ich ganz bewusst, wie ich abends oft an der Türschwelle stehen geblieben war und Gute Nacht gesagt hatte. Plötzlich war es anders, ein Ruck durchfuhr mich und ich ging über die Türschwelle, kniete mich an das Bett, legte meine Hand auf das Bein des Kindes und fragte, wie sein Tag gewesen war. Und es kamen Antworten und ein schöner Austausch entstand. Völlig überrascht von diesem neuen Gefühl verliess ich das Zimmer und auf einmal wurde mir klar, dass ich diese Grenze gezogen hatte. Ich war immer an der Türschwelle des einen Kindes stehen geblieben, ich hatte mich nicht mehr angenähert aus Angst vor weiterer Zurückweisung, ich hatte festgesteckt in der Erwartungshaltung, dass nun das Kind daran sei, auf mich zuzugehen… und all das nur, weil ich den Gedanken geglaubt hatte: „Ich werde immer eine Außenseiterin sein.“

Manchmal kommt der Gedanke noch zurück und Zweifel machen sich erneut breit. Was mich seit diesem Abend der Türschwelle allerdings nicht mehr verlassen hat, ist die Erfahrung, dass ich nie wissen kann, wie es sich entwickelt und dass es so schöne Überraschungen gibt, wenn ich frei bin von einschränkenden Überzeugungen und einfach das tue, was aus meinem Herzen kommt, nämlich über die Türschwelle zu gehen statt zu warten, der andere möge zuerst gehen.

In diesem Sinne, Gute Nacht,

Kerstin

Eier, Bioeier… und wo The Work of Byron Katie sonst noch helfen kann

„Kerstin, weisst Du, was die beiden roten Fahnen da am Strand bedeuten?“ fragte mich heute mein Vater. „Die rote Fahne bedeutet, dass man nicht schwimmen sollte, da die Strömung stark ist.“ Darauf sagte mein Vater sehr bestimmt „Quatsch“. Ich rollte mit den Augen, schnaufte hörbar auf und ging auf mein Zimmer.

Vor 3 Jahren war ich das erste Mal seit 15 Jahren wieder mit meinen Eltern gemeinsam im Urlaub – auf Ko Samui. Es war der erste gemeinsame Urlaub mit meinen Eltern, nachdem ich die Work von Byron Katie kennen gelernt hatte. Vielleicht kennt der eine oder die andere das auch: Bei Familienfesten, Urlauben oder einfach bei gemeinsamer Zeit mit den Liebsten kommt es manchmal zu inneren und ggf. auch äusseren, emotionalen Wallungen, die man ansonsten schon lange Zeit eher nicht mehr erlebt hatte.

Wenn Du glaubst Du bist erleuchtet…
Ram Dass sagt dazu ganz passend wie ich finde: „Wenn Du Dich für erleuchtet hältst, dann geh und verbringe eine Woche mit Deinen Eltern.“ Oder wie Byron Katie sagt: „Leute gehen nach Indien um einen Guru zu finden, aber das musst du nicht: du lebst mit einem.“ Unsere Lieben drücken all die Knöpfe, wo wir noch gefangen sind in alten Gedanken- und Verhaltensmustern. Unsere engsten Mitmenschen zeigen uns, wo wir noch nicht wirklich hingeschaut haben und immer noch Konzepte mit uns herumschleppen, die oft schon viele Jahrzehnte alt sind.

Wer hat mich aus dem Paradies vertrieben? Ein Gedanke…
Also zurück nach Ko Samui: Vor drei Jahren sitze ich mit meinen Eltern in einem wunderbaren Hotel beim Frühstück mit Meerblick, Wellenrauschen, Vögelgezwitscher, frischem Obst… ein Paradies… und auf einmal passiert es: ich befinde mich mit meinem Vater in einer Diskussion über Eier, Bioeier, Politik etc. und ehe wir uns versehen, sind wir in einer hitzigen Diskussion, bis mein Vater mir vorwirft, das Problem mit mir sei, ich wolle ja immer nur Recht haben. Darauf höre ich mich sagen: „Nein, das stimmt nicht. Du willst immer Recht haben.“ The Work sei Dank konnte ich immerhin merken, dass es nun höchste Zeit war, mich zurück zu ziehen und wieder zu mir zu kommen. Ich verliess das Frühstück und ging auf mein Zimmer, schrieb alle stressvollen Gedanken über meinen Vater auf und rief einen Kollegen an, der mich begleitete, das Konzept zu untersuchen: „Mein Vater will immer nur Recht haben.“ Wie so oft bei der Work konnte dieser Gedanke nicht gegen die Wahrheit bestehen.

Dreh es um…
Für die, die The Work noch nicht kennen: Ein Teil der Work sind Perspektivwechsel – der Gedanke, der überprüft wird, wird in verschiedene Richtungen gedreht. Ich sah plötzlich, wie mein Vater total Recht hatte als er sagte, ich wolle ja immer nur Recht haben. Es stimmte. Ich sah, wie ich mich sofort verteidigt hatte und aus diesem Opferstatus heraus sogar ihn angegriffen hatte als ich sagte, er wolle ja immer nur Recht haben. Nun ja… es entstand das Bedürfnis in mir, mich bei meinem Vater zu entschuldigen. Als er an meine Zimmertür klopfte und mich fragte, ob ich mit ihm an den Strand gehen wolle, sagte ich ihm: „Papa, ich möchte Dir etwas sagen. Ich möchte mich bei Dir entschuldigen, denn ich habe Dich angelogen. Als Du mir gesagt hast, dass ich immer nur Recht haben wolle, habe ich Dir gesagt, dass das nicht stimmt. Es stimmt, ich wollte Recht haben, und das tut mir leid, bitte entschuldige.“ Plötzlich sah ich in seinen Augen Zeichen der Rührung, und er nahm mich westfälisch in den Arm und sagte: „Ach Mädchen, ist ja nicht so schlimm.“

Byron Katie fragt oft: Willst Du frei sein oder Recht haben?
Heute ergab sich dann die eingangs geschilderte Situation, in der es wieder um „Recht haben“ ging, um die Bedeutung der zwei roten Fahnen im Sand… erneut bemerkte ich eine heftige Irritation in mir aufsteigen. Auf dem Weg in mein Zimmer, begann mich nun die Frage zu beschäftigen, ob sich denn gar nichts bei mir verändert hatte seit damals auf Ko Samui? Wie kann es sein, dass ich mich wieder über etwas aufrege, womit ich mich bereits beschäftigt hatte, wo ich doch schon eingesehen hatte, dass ich Recht haben wollte damals auf Ko Samui, wieso nun wieder die gleiche Irritation? Und war es überhaupt die gleiche Irritation?

Nach ein paar Stunden traf ich meinen Vater. Auf einmal sagte er zu mir: „Du, ich muss mich noch bei Dir entschuldigen für vorhin, dass ich da nicht so freundlich zu Dir war. Aber ich hatte Recht…. und die Bedeutung der zwei Fahnen… etc.“ . Und ja, es stimmte, er hatte Recht gehabt die ganze Zeit UND er hat sich bei mir zu meiner Überraschung entschuldigt. Wir haben dann noch mit einem Augenzwinkern ausgetauscht, worum es jedem von uns ging und hatten einen richtig schönen, entspannten Abend. Ach ja, und wen es interessiert: Die beiden roten Fahnen markieren die Einfahrtschneise der Boote, die vermietet werden. Das hatte mein Vater herausgefunden als er sich mit einem Thailänder darüber unterhalten hatte.

Um den Krieg zu beenden braucht es nur eine Person
Byron Katie sagt, es reicht, wenn einer die Work macht, um den Krieg zu beenden. Warum ist die Dissonanz mit meinem Vater nun heute anders verlaufen? Keine Ahnung – und eine Idee dazu ist: Ich war nicht einer Meinung mit ihm, habe meinen Vater allerdings nicht wie vor drei Jahren angegriffen und bin erst einmal gegangen. Ich war mir bewusst, dass Gedanken meine Irritation ausgelöst hatten und nicht mein Vater selbst. Es waren die Gedanken über ihn, über mich, über Eltern etc., die mich aus dem Gleichgewicht gebracht hatten. Diese Gedanken konnte ich als Gedanken wahrnehmen und sie aus der Position des Beobachters identifizieren.

Es geht darum, immer wieder in der Beobachterposition zu sein.
Wenn ich meinen eigenen Prozess mit der Work zurückverfolge, zum Beispiel alte Aufzeichnungen lese, bin ich manchmal fassungslos, was ich vor ein paar Jahren so alles geglaubt habe und kein Wunder, dass ich mich verhalten habe wie ich mich verhalten habe. Manchmal kommt es mir fast unwirklich vor, dass ich diese Person war, die all das geglaubt hat. An vielen Stellen sehe ich, wie viel sich bereits verändert hat. Und dann gibt es eben auch andere Momente, wo ein altes Thema aufzuploppen scheint, etwas, mit dem ich mich vielleicht schon mehrmals in der einen oder anderen Form beschäftigt habe, ein Thema, das sich bisher nicht aufgelöst hat. Daher ist es vielleicht gar nicht so sehr die Frage, wieso mich manchmal wieder ähnliche Gedanken stressen, sondern vielleicht geht es darum, immer wieder in der Beobachterposition zu sein und mir immer wieder bewusst zu werden, dass ich nicht diese Stimmen, Meinungen, Ideen, Urteile bin, die mir durch den Kopf rauschen. Ich bin diejenige, die das Kopfkino beobachtet.

Ich bin neugierig, wie es sich entwickelt – und ich habe noch mehr als eine Woche Zeit, das zu beobachten 😉

Alles Liebe aus Thailand,

Kerstin