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Manchmal kommt es anders und meistens als man denkt… Über Denkfallen in Patchworkfamilien und andere Irrtümer

Seit dreieinhalb Jahren lebe ich mit den Kindern meines Partners wochenweise in einer Patchworkfamilie auf Mallorca. Als ich meinen Partner kennenlernte, las ich erst einmal Literatur über Patchworkfamilien, da ich mit dem Thema überhaupt nicht vertraut war – übrigens kann ich da die Bücher von Jesper Juul sehr empfehlen. Irgendwo las ich in einem Internetforum, dass es ca. 7 Jahre braucht, bis man als Patchworkfamilie so richtig zusammengewachsen ist. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich damals mit Schrecken dachte, um Gottes Willen, 7 Jahre… das geht sicher schneller, wenn man nicht glaubt, dass es 7 Jahre dauern wird… Nun ist die Hälfte der prognostizierten Zeit herum und im Moment sage ich: Wir sind auf einem guten Weg.

Auf diesem Weg habe ich eine ständige und zuverlässige Wegbegleiterin: The Work of Byron Katie, eine Lebenshaltung, die mir schon sehr oft aus herausfordernden Situationen geholfen hat. Wie in allen Beziehungen kommt es in Patchworkfamilien auch zu den üblichen Herausforderungen: Eifersucht, Trotz, Pubertät, Verlustängste, Platzhirschgedöns, Ärger, Wut und Enttäuschung… und manchmal erscheint es mir, als wenn sich das in Patchworkfamilien etwas potenziert dadurch, dass die Mitglieder einer solchen Familie immer wieder mit Wechseln konfrontiert sind und eben Kinder von getrennten Eltern sind, die sich je nachdem mehr oder weniger gut verstehen, Kinder, die mit neuen Partnern oder Partnerinnen der Eltern umgehen müssen, mit weiteren Trennungen. In meiner Erfahrung sind die Kinder oft lange beschäftigt mit der Trennung der Eltern, der Frage nach dem „warum“ und der Sehnsucht nach der alten Ursprungsfamilie.

Soviel zum allgemeinen Hintergrund, ich liebe es konkret:

Was alles passiert, wenn man es “richtig” machen will
Neulich hatten wir Übernachtungsbesuch der Kinder bei uns. Es war eines der ersten Male, dass ein Freund zum Übernachten blieb. Ich bemerkte, wie ich es als Deutsche in einer mallorquinischen Familie “richtig” machen wollte, Essen kochen, was mallorquinische Kinder gern essen, cool und entspannt sein, so dass der Übernachtungsbesuch nachher denkt, er hätte auch gern so jemanden in seiner Familie – auch wenn es nicht die Mama ist – ja, ich bemerkte mein Ego, was gemocht werden wollte.

Wir hatten eine tolle Zeit inklusive Kostümparty und als am kommenden Tag der Abschied kam, wollte ich es wieder “richtig” machen und gab dem sehr symphatischen Übernachtungskind, mit dem ich viel Freude gehabt hatte, einen Abschiedkuss in dem Glauben, dass die Mallorquiner das so machen mit den Freunden ihrer Kinder. Die Erwachsenen geben sich schliesslich jeweils zwei Wangenküsse zur Begrüßung und zum Abschied. Als ich mich auf unseren Besuch zubewegte, um mich “richtig” zu verabschieden, bemerkte ich sofort an den Blicken der anderen, dass ich in dem Moment etwas “richtig falsch” gemacht hatte. Ich konnte mich dann innerlich noch ganz gut überzeugen, dass ich doch alles richtig gemacht hatte, kam schliesslich von Herzen, bis mir die Tochter meines Partners als wir später allein waren sagte: “Kerstin, entschuldige bitte, aber das geht gar nicht, dass Du den Freunden meines Bruders einen Abschiedskuss gibst. Mein Bruder wird sehr ärgerlich auf Dich sein.” Das sass… und ich sah, was sie meinte.

Kannst du die Unschuld sehen?
Gleichzeitig sah ich meine Unschuld, wie ich ganz unschuldig meine Gedanken geglaubt habe wie: “Mallorquinische Eltern verabschieden Übernachtungsbesuch ihrer Kinder sicher auf diese Weise”… und dann eben auf diesen Gedanken reagierte und entsprechend handelte… ich sah, wie ich mein Bestes geben wollte, wie ich gemocht werden wollte und sah meine Unschuld und gleichzeitig, wie mein Verhalten für unseren Jungen evt. peinlich war. Bei mir war eine automatische Kette abgelaufen, die Byron Katie nennt: Denken – Fühlen – Handeln – Haben. In meinem Fall, denken, dass man das hier so macht, das Bedürfnis fühlen, es richtig machen zu wollen, in Aktion gehen, mich auf den Besuch zuzubewegen mit den Ergebnis, dass alle Anwesenden irrtiert waren. All das war geschehen, weil ich etwas geglaubt habe wie: “Ich brauche, dass die anderen mich mögen” und “so macht man das hier.”

Die Zeit verging, ich fand keine Gelegenheit, den Sohn meines Partners darauf anzusprechen. Es blieb unausgesprochen. In mir blieb der Zweifel, ob der Junge sauer auf mich war, und ob er jemals wieder einen Freund zum Übernachten einladen würde… ich dachte, eher nicht…

Wie erlebe ich die Welt, wenn ich sie durch diese Brille betrachte?
In der Zwischenzeit gab ich ein Seminar mit The Work of Byron Katie auf Mallorca und hatte da die Gelegenheit, einige eigene stressvolle Gedanken über den Sohn meines Partners mit The Work auf den Prüfstand zu stellen. Gedanken wie: “Er sollte offener zu mir sein, er sollte mehr Verständnis für meine Situation haben, er sollte sehen, dass ich es gut mit ihm meine etc…”

Die Seminarwoche zeigte Wirkung, ich spürte, wie ich mich mit jeder Work, mit jedem hinterfragten Gedanken immer mehr öffnen konnte für den Sohn meines Partners. Ich sah ihn ohne all meine Konzepte und Gedanken.

Ein Teil von The Work ist die Frage: Wer bist du ohne diesen Gedanken? Für mich ist dieser Teil der Work der, wo ich die Welt aus dem Herzen heraus betrachte und nicht durch die Brille meines Verstandes. Und aus dem Herzen geschaut, ist die Welt so viel freundlicher…

Nach dem Seminar begann eine neue Kinderwoche für uns. Ich freute mich auf die Kinder und war gespannt, wie sich die Veränderung, die ihn mir während der Work-Woche stattgefunden hatte, auf die Beziehung zum Sohn meines Partners auswirken würde. Beim ersten gemeinsamen Abendessen ergab sich die Gelegenheit, und ich fragte ihn: “Du, sag mal, damals weisst Du noch, als dein Freund bei uns übernachtet hat und ich ihm einen Abschiedskuss gegeben habe. War das doof?” Er sagte: “Ja.” Ich fragte ihn, ob sein Freund noch etwas darüber gesagt habe zu ihm. Und er sagte: “Nein, und wenn er etwas Negatives über Dich gesagt hätte, hätte ich ihm eine gehauen.”

Manchmal kommt es anders und meistens als man denkt
Nun war ich platt. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Ich war davon ausgegangen, dass ich ihm peinlich war und wäre nie auf die Idee gekommen, dass er mich vor seinem Freund verteidigen würde… ein Gefühl von Liebe, Dankbarkeit und Scham überkam mich. Scham, weil ich ihn so “falsch” gesehen hatte in all den Wochen. Ich hatte nicht mit dem Herzen gesehen, sondern nur mit dem Verstand. Und der Verstand greift meistens viel zu kurz, blendet Details aus, verzerrt die Inhalte und will vor allem beweisen, dass das, was er, der Verstand, eh schon glaubt, auch so ist. Das Herz hingegen katapultiert uns in die Tiefendimension, dahin wo alles möglich ist und wo es so viel mehr als eine Wahrheit gibt. Vielleicht ist das auch für dich eine Abkürzung bei der nächsten Auseinandersetzung oder Irritation, in die Tiefe zu gehen und zu fragen, wie das Ganze mit dem Herzen betrachtet anders aussieht.

Byron Katie sagt dazu:

“Die Realität ist so viel freundlicher als unsere Geschichten über sie.”

Dafür liebe ich The Work – sie hilft mir, immer mehr, mit dem Herzen zu sehen.

Viel Freude beim Ausprobieren.

Kerstin

Weitere Infos zum Thema:
Wochenendseminar mit The Work in Berlin:

Mit dem Herzen sehen – Wie Du mit The Work harmonische Beziehungen leben kannst
10.-11. Februar 2018 im ifapp Berlin
Frühbuchtarife bis 15. Dezember 2017
Infos & Anmeldung hier

Foto: Cerstin Deppe-Dingeldey

Wie ist das, was gerade passiert, das Beste, das mir passieren kann?

Oder wie das freundliche Universum mir geholfen hat, mein “Ja” zu mir selbst zu finden…

Diejenigen von euch, die The Work of Byron Katie kennen, haben diese Frage vielleicht schon des öfteren in Seminaren, Coachings oder einfach in einer Work mit jemand anderem gehört: Wie ist das, was gerade passiert, das Beste, was mir gerade passieren kann? Diese Frage ist je nach Situation und Flexibilität des Geistes unter Umständen eine Herausforderung, für manche vielleicht sogar eine Provokation und für andere kann diese Frage eine Trainingseinheit sein, die sie bereit sind, täglich zu machen.

Ich möchte das einem konkreten Beispiel deutlich machen, wie ich finden konnte, dass das, was gerade passiert, das Beste ist, das mir passieren kann.

Diejenigen von euch, die mich kennen oder meinen Blog verfolgen, wissen vielleicht, dass ich in einer Patchworkkonstellation lebe mit meinem Partner, seinem Sohn und seiner Tochter. Die Kinder sind jede zweite Woche eine Woche bei uns. Seit einigen Jahren und immer mehr seit ich über 40 bin beschäftigt mich die Frage, ob ich selbst gerne Mutter werden möchte. Bisher war meine eigene innere Zerrissenheit, das Für und Wider und das Abwägen oft eine große Belastung für mich. Soviel zu den groben Koordinaten.

Kommen wir zurück zu der Frage: Wie das, was passiert, das Beste ist, was passieren kann?

Am letzten Sonntagabend mit den Kindern wiederholte sich eine Situation, die ich schon oft erlebt habe. Die Kinder gehen ins Bett, geben Papa Küsschen, Gute Nacht Papa, ich liege auch im Bett und zu mir sagt kein Kind Gute Nacht. In solchen Momenten schiessen Gedanken in meinen Kopf wie: “Ich gehöre nicht dazu, ich bin ihnen nicht wichtig, sie sind egoistisch, schlecht erzogen, etc.” – und wenn ich diese Gedanken glaube, reagiere ich mit Gefühlen auf diese Gedanken, in meinem Fall oft Trauer und Enttäuschung. So also auch wieder letzten Sonntag. Der Große geht ins Bett und sagt mir nicht Gute Nacht, nur Gute Nacht Papa. Ich schwieg wie so oft, verdrückte ein paar Tränen ins Kopfkissen und schlief ein. Am nächsten Morgen wachte ich auf, sofort wieder mit der Geschichte vom Vorabend im Kopf, die Putzfrau sollte kommen, und ich fand die Kinderzimmer extrem unaufgeräumt vor. Ich kam in die Küche, die Kinder begrüßten mich nicht.  Plötzlich explodierte ich, was sehr selten vorkommt. Ich sagte allen dreien ganz unzensiert, wie ich mich fühlte, wie sauer ich gerade war und was für mich gerade in dem Moment nicht funktionierte. Schweigen…

Im Anschluss verliessen die Kinder das Haus, der Große wiederholt ohne mir Tschüss zu sagen. Sein Vater schickte ihn darauf zurück zu mir, und ich fühlte mich so blöd wie eine alte, schrullige Tante, der man kein Küsschen geben soll und die Eltern sagen: “Komm gib der Tante mal ein Küsschen.”

Als der Sohn meines Partners also vor mir stand und Tschüss sagte, bat ich ihn kurz herein. Wir sahen uns länger als sonst in die Augen. Ich sagte zu ihm:”Danke, dass du mir Tschüss sagst. Weisst du, es tut mir weh, wenn du mich wie Luft behandelst. Ich habe dich lieb und du bist mir wichtig.” Darauf lächelte er und nahm mich in den Arm und ging.

Die drei fuhren zur Arbeit und zur Schule und kaum war die Tür geschlossen, brach es aus mir heraus. Die Tränen flossen, viele, viele schmerzvolle Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich fühlte mich als Opfer, wie ein ungeliebtes Aschenputtel, das gut genug ist, aufzuräumen und die schönen Dinge, die Küsse und die lieben Worte, die gibt es nur für Papa und Mama… Ich ging zum Sport und beobachtete weiter all die Gedanken, die mich quälten. Ich überlegte, die Gedanken zu worken, sie zu hinterfragen, wie ich es sonst so oft mache mit der Work, wenn ich verwirrt bin.

Dieses Mal war es anders.

Ich bemerkte, wie das Verhalten des Jungen etwas in mir triggerte, ich bemerkte ein tiefsitzendes Bedürfnis. Da war der Wunsch nach Zugehörigkeit, der Wunsch Mutter zu sein, der Wunsch, eine Familie zu gründen und das Wunder zu erleben, wovon die Eltern oft sagen, dass es nichts gibt, was so schön ist wie das. So entstand der Entschluss, dieses Mal nicht zu worken, sondern genau das zu tun, wovor ich mich seit Jahren drückte: Mir einzugestehen, was ich mir wünsche und das zu äussern. Also tat ich etwas, vor dem ich große Angst hatte. Ich teilte mit meinem Partner meine Trauer, meine Ängste, meine Sehnsüchte. Ganz unzensiert – ich zeigte mich mit allem Unaufgeräumten in mir. Ich hatte Angst, dass er sich von mir zurückziehen würde, mich verlassen würde oder meine Ehrlichkeit andere Konsequenzen haben könnte.

Was passierte war genau das Gegenteil.

Ich erhielt Verständnis von ihm und Beistand.

Dieser Moment war magisch für mich. Auf einmal spürte ich die Kraft, selbst bedingungslos “ja” zu mir zu sagen. Das allein war schon magisch und als Sahnehäubchen oben drauf hatte ich auch noch ein “Ja” von meinem Partner zu mir erhalten. Und plötzlich merkte ich, wie nun auf einmal die Zukunft sehr unwichtig wurde. Es war mir aufeinmal gar nicht mehr so wichtig, ob ich nun irgendwann ein eigenes Kind bekommen würde oder nicht. Was ich gebraucht hatte war mein “ja” zu mir und für mich einzustehen.

Was ich daraus für mich gelernt und mitgenommen habe ist:

1. Das was gerade passiert, ist das Beste für mich. Ich sah auf einmal die Zurückhaltung der Kinder mir gegenüber als Wegbereiter, zu spüren, was ich mir wirklich wünsche. Sie haben mir zur Klarheit geholfen und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

2. Das Ergebnis ist nicht entscheidend, sondern wie ich mit mir auf dem Weg umgehe.Werde ich Mutter, oder nicht? Keine Ahnung… entscheidend ist, ob ich mein “Ja” zu mir selbst lebe.

3. Starke emotionale Reaktionen weisen mir den Weg in die Tiefe, wenn ich nicht im Opfermodus stecken bleibe, sondern eine Station tiefer schaue, worum es eigentlich geht.

4. Das Universum ist freundlich und alles geschieht für mich, auch wenn ich das auf den ersten, zweiten oder dritten Blick noch nicht sehen kann.

5. Zufriedenheit hängt nicht von den “Resultaten” ab, sondern von meiner inneren Haltung, mir selbst, den anderen und dem Universum gegenüber.

Bis zum nächsten stressvollen Gedanken 😉

Alles Liebe,

Kerstin