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Über Opfer, die mit dem Kopf durch die Wand wollen und andere Pannen

Neulich hat mich ein guter Freund gefragt, wie es mir geht. Ich schrieb ihm, dass es mir gerade sehr gut gehe und ich auch mit den Kindern meines Partners eine sehr gute Zeit habe. Ich schrieb ihm, dass ich mich neulich erinnert habe, was für “krasse” Sachen früher mit den Kindern passiert sind, und das ich heute sehr viel Mitgefühl mit den Kindern habe.

Zum Beispiel ist eines der Kinder einmal weggelaufen aus dem Haus der Grosseltern, als ich zum Essen eingeladen war. Das Kind wollte mich weder sehen, noch mit mir an einem Tisch sitzen. Wir lebten damals noch nicht zusammen. Ich erinnere mich noch gut, wie sehr verletzt ich mich damals fühlte, wie traurig ich darüber war und mich als Opfer gesehen habe. Von Mitgefühl war ich weit entfernt. Ich war enttäuscht, traurig und wütend. Ich wollte zurückgeliebt werden und ganz tief in mir war eine Stimme, die das trotzig einforderte, eine Stimme, die mir einflüsterte, ich habe ein Recht darauf. Ich glaube, da hat das Ego zu mir gesprochen.

Wie kommt es, dass aus einem Opfer ein mitfühlender, verständnisvollerer Mensch wird?

Wenn ich das Ganze in der Rückschau betrachte, sehe ich einen wesentlichen Punkt, der vielleicht alles verändert hat. Durch die heftige Zurückweisung der Kinder, die ich manchmal erlebt habe und die Verlustängste, dass die Partnerschaft das vielleicht nicht aushält, blieb mir nur ein Weg: Der zu mir selbst. Mich selbst so sehr zu lieben, dass ich die Liebe der Kinder oder die meines Partners nicht mehr zum Überleben brauche.
Das ist für viele von euch vielleicht keine Neuigkeit. Das weiss doch heutzutage fast jeder, dass man erst einmal sich selbst lieben muss, bevor man glückliche Beziehungen leben kann. Ja, ich wusste das auch. Theoretisch. Und bei jeder Erschütterung im Außen wurde mir klar, dass ich das zwar wusste, es aber nicht in mir integriert war, ich es nicht lebte.

Es war ein längerer Weg mit vielen Tränen, immer wieder Enttäuschung, Trauer und dem Gedanken, “Ich gehöre nicht dazu zur Familie”, was meint, zum Dreiergespann meines Partners und der Kinder.

Die Umkehrung zu mir selbst: “Ich gehöre nicht zu mir dazu.” war wohl damals viel wahrer. Nach aussen lebte ich ein selbstbestimmtes Leben, war Coach, Trainerin, ging zum Sport, traf mich mit Freunden, reiste oft beruflich allein oder zu meiner Familie nach Deutschland. Und doch, in mir drinnen, ganz tief drinnen gehörte ich nicht zu mir und war immer noch auf der Suche nach dem fehlenden Teil. Den sollte mir mein Partner und seine Kinder geben, mich bedingunglos lieben und mich als Teil ihrer Familie annehmen.

Die Stimme, die oft flüsterte “Kerstin, du hast auch ein Recht darauf, geliebt zu werden, du bist ein guter Mensch und gibst ja auch so viel, vor allem den Kindern…” war penetrant und dominant. Und das Universum war freundlich und präsentierte mir immer wieder Situationen , die mich enttäuschten: Weihnachtsbesuch auf dem Marktplatz – Keiner nahm meine Hand, Abschlussfeier in de Schule – die Kinder scheinen mich nicht zu kennen, die Kinder beantworten meine Nachrichten nicht…. Ich bekam so lange vom Universum eines auf den Deckel, bis ich endlich bereit war, aufzugeben und umzudenken. Viele Works über die Kinder haben nach und nach den Pfad geöffnet. An einem Tag, als es besonders weh tat, sprach eine andere Stimme zu mir, die sagte: “Es reicht. Gib auf und kümmere dich um dich. Du brauchst es, denn die Kinder wollen deine Aufmerksamkeit anscheinend nicht. Wie freundlich, denn so hast du mehr Energie für dich. Du bist diejenige, die dich gerade braucht.”

Ich begann, meinen Fokus auf meine Arbeit zu lenken, auf meine Freiberuflichkeit, die neue Webseite, ein Buch über Patchworkund The Work zu schreiben. Ich verabredete mich wieder häufiger mit Freunden in der Woche, in der die Kinder bei uns waren. Ich habe auch mal nicht gekocht und stattdessen gearbeitet, wenn ich gerade Arbeit hatte, habe keine Nachrichten mehr geschrieben, keine Geschenke mehr gemacht, keine Angebote gemacht, nur noch reagiert, wenn die Kinder auf mich zukamen und etwas mit mir machen wollten.

Es war magisch. Innerhalb von wenigen Wochen drehte sich alles.
Ich war in meiner Kraft, war bei mir, kümmerte mich um mich, die Kinder kamen immer häufiger auf mich zu, wollten mit mir spielen, mit mir in den Urlaub fahren, bei mir schlafen und aufeinmal wurde ein Bild gemalt mit einer Familie – und ich entdeckte meinen Namen in dem Bild. In dem Moment war es mir allerdings gar nicht mehr so wichtig – ein paar Monate vorher hätte ich viel dafür gegeben.

Was habe ich gelernt in der Zeit?

· Es ist für mich so wahr, was Byron Katie sagt: “Alles passiert für dich, nicht gegen dich.” Die Zurückweisung der Kinder hat mich gelehrt, mich selbst zu lieben.

· Noch einmal Katie: “Opfer sind die schlimmsten Täter.” Ich habe über mich gelernt, wie subtil manipulativ ich den Kindern gegenüber versucht habe zu erreichen, dass sie mich lieben. Das war übergriffig.

· Mangel ist immer ein Zeichen, dass ich selbst nicht bei mir Zuhause bin, mich selbst nicht an die Hand nehme oder mir selbst keine Familie bin.

· Wenn meine Probleme im Außen sich nicht verändern und evt. sogar grösser werden, könnte das ein Zeichen sein, dass ich mit dem Kopf durch die Wand will und nicht bereit bin, einen neuen Weg auszuprobieren.

· Nur, wenn ich kein Opfer bin, kann ich mitfühlend mit den anderen sein, mit dem, wo sie gerade stehen, was sie beschäftigt, was es ihnen unmöglich macht, sich anders zu verhalten – nur dann kann ich Zeit geben und glücklich sein mit mir, während die anderen machen, was sie machen

· Katie sagt oft:”Du bist verschont geblieben.” Die Kinder wollen nicht mit mir spielen, sondern mit Papa? Wunderbar, ich bin verschont geblieben und habe Zeit für mich. Die Kinder wollen nicht an meiner Hand gehen, sondern nur mit Papa? Wunderbar, so kann ich frei laufen, in meinem Tempo, in Geschäfte schauen und lernen, meine Hand zu halten.

· Es ist alles nur eine Frage der Perspektive, keine meiner Geschichten hat sich als wahr herausgestellt.

· Ich habe kein Recht, von den anderen geliebt zu werden und es ist meine Aufgabe, diesen Job zu übernehmen. So wie Katie sagt, den Job kann man nicht delegieren.

In diesem Sinne wünsche ich dir ganz viel Aufmerksamkeit.

Vielleicht kannst du dich beim nächsten Mal, wenn du zum Opfer wirst und meinst, etwas nicht zu bekommen, was dir zustehe, inne halten und still werden. Für mich war das Rezept zum Glücklichsein: Den Job annehmen, mich um mich selbst zu kümmern und die anderen ihr Leben leben zu lassen. Sie tun es sowieso.

Alles Liebe

Kerstin